Liederabend 31: Revolution!
29. Oktober 2017
Der politischen Bedeutung dieses Ereignisses wird mit dem 1933 entstandenen Zyklus 1917 von Erwin Schulhoff, politischen Liedern Dmitri Schostakowitschs auf englische Dichtungen sowie Liedern Franz Schuberts auf Texte Friedrich Schillers Rechnung getragen. Der Beitrag von Alexander Mossolow spiegelt dagegen das alltägliche sowjetische Leben nach der Revolution in satirischer Form wider.
Erwin Schulhoff gehört zu der Gruppe jüdischstämmiger Komponisten wie Hans Krása und Victor Ullmann, die aufgrund ihrer Herkunft nach 1933 verfolgt und schließlich in Lagern frühzeitig zu Tode gekommen sind. Für ihn war die „Schöne Welt“ im Schillerschen Sinne spätestens 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten vorbei.
Der Liederzyklus 1917 WV 110 aus dem Jahre 1933 ist Schulhoffs persönlicher Beitrag zum sozialistisch geprägten Agitationslied. Zwei davon wurden bereits 1934 in Leningrad mit dem kennzeichnenden Untertitel Lieder des Zorns in einer russischsprachigen Textfassung veröffentlicht. Tatsächlich erleben wir in diesen zwölf Liedern weniger Kunst als vielmehr extrem politischen, marxistisch orientierten Gesang. In ihrer Wut, Unerbittlichkeit und letztendlichen Radikalität des politischen Statements lassen sie im Vergleich sogar die Lieder Hanns Eislers auf Texte von Bertold Brecht harmlos aussehen. Sein Zyklus 1917 sollte für Schulhoff nicht mehr Ausdruck einer bürgerlichen Existenz sein, sondern engagiertes Erinnern an die Oktoberrevolution 1917 in Russland, zu deren 15-jährigem Jahrestag er ein Denkmal setzen wollte. „...es gilt also diesen romantischen biedermeier endgültig zu brechen und das kann nur mit einer gewaltigen tat denkbar sein...“ (Schulhoff, Tagebuch 1941)
Aus heutiger Perspektive ist der Zyklus 1917 ein Dokument seiner Zeit und ein wichtiges Denkmal des Klassenkampfes in der Form einer kunstfertigen Folge ausschließlich politischer Botschaften innerhalb der bürgerlichen Konzertform Liederabend. Ironie des Schicksals: Kurz vor seiner Inhaftierung wurde Erwin Schulhoff sowjetischer Staatsbürger und er wollte in die Sowjetunion umsiedeln. Der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion verhinderte aber seine Flucht nach Moskau um nur wenige Tage.
Der Komponist Alexander Mossolow war in den 1920er Jahren einer der Modernisten der jungen Sowjetunion. Mit seinem Ballett Die Eisengießerei huldigte er der Maschine und schrieb Musikgeschichte. Seine Musiksprache der Anfangsjahre der UdSSR war wild, frech und antiromantisch; sie passte sehr gut in die Aufbruchsstimmung der neuen Sowjetgesellschaft. Seine Zeitungsannoncen sind groteske Miniaturen mit alltäglichen Texten, wo Blutegel, Rattengiftwerbung oder Suchanzeigen eines entlaufenen Hundes uns den Sowjetbürger als Mensch aus Fleisch und Blut nahe bringen.
Wie politisch die Lieder Franz Schuberts teilweise sind, lässt sich am besten in seinen zahlreichen Schillervertonungen nachweisen. Die politische Regression im Biedermaier nach dem Wiener Kongress hat Schubert nicht davon abgehalten Schillers leuchtende und flammende Texte als Grundlage für zahlreiche Lieder wie Gruppe aus dem Tartarus oder Sehnsucht zu nutzen. Somit müssen wir den Vater des Kunstliedes auf Grund der Auswahl seiner Texte auch als politisch engagierten Komponisten betrachten.
Dmitri Schostakowitsch ist unbestritten der bis heute bedeutendste sowjetische Komponist. Während der Stalin-Ära hat er wie viele andere stets um sein Leben fürchten müssen. Seine Sechs Romanzen nach englischen Dichtungen op. 65, mitten in den Wirrungen des Zweiten Weltkriegs komponiert, sind starke, ja, politische Lieder, die beweisen, dass Schostakowitsch nicht zu feige war um auch in tempori belli (dem „großen vaterländischen Krieg“) sich an Vertonungen englischer, also ausländischer Texte zu machen. Das war kühn.
Der vorherrschende dunkle Ton, die Abgründigkeit der sechs ausgewählen Gedichte kommt Schostakowitsch sehr entgegen, auch wenn die sehr klare Ironie der Groteske bei Macpersons Abschied eine Ausnahme innerhalb der eher beklemmenden Gesamtstimmung bleibt. Wie bitter nah Triumph und Tod beieinanderliegen, erfahren wir in der abschließenden Nummer Königlicher Feldzug, die höchstwahrscheinlich auf Napoleons Scheitern im Russlandfeldzug anspielt. Ob Hitlers abermaliges Scheitern im Russlandfeldzug 1942 Schostakowitsch schon klar war? Dieses Lied wirkt aufgrund der Zeitumstände seiner Entstehung gleichermaßen sarkastisch und prophetisch...
Der Bariton Hans Christoph Begemann, ausgewiesener Liedsänger (und Preisträger der Deutschen Schallplattenkritik 2016 für seine Aufnahme von Wolfgang Rihms Goethe-Lieder) und der Pianist Klaus Simon arbeiten seit 2014 erfolgreich zusammen und sind bereits mehrfach auch an bedeutenden Konzertorten wie im Konzerthaus Berlin oder in der Laeiszhalle Hamburg aufgetreten. Ihre Konzerte wurden vom Deutschlandfunk und vom NDR mitgeschnitten. Im August 2016 haben sie zusammen alle Baritonlieder Erwin Schulhoffs für den SWR als Teil einer CD-Gesamtaufnahme eingespielt, die bei bastille musique erscheinen wird.
Sonntag, 29.10.2017, 11 Uhr
Haus zur Lieben Hand
Löwenstr. 16, 79098 Freiburg
Tickets: € 18 / € 10 (ermäßigt)